1. Einleitung: Die Herausforderung Küste für Photovoltaikanlagen
Photovoltaikanlagen in Küstenregionen stehen vor besonderen Herausforderungen, die weit über die typischen Belastungen im Binnenland hinausgehen. Die Kombination aus hoher Luftfeuchtigkeit, salzhaltiger Luft (Salznebel bzw. Salzspray) und häufig auftretenden hohen Windlasten erzeugt eine extrem aggressive Umwelt, die die Alterungsprozesse von PV-Komponenten deutlich beschleunigen kann. Diese maritimen Bedingungen begünstigen elektrochemische Reaktionen und mechanische Belastungen, die sowohl die elektrische als auch die strukturelle Integrität einer PV-Anlage gefährden können.
Trotz dieser Herausforderungen bieten Küstenregionen ein großes Potenzial für die Nutzung von Solarenergie. Die oft hohe Bevölkerungsdichte führt zu einem entsprechend hohen Energiebedarf, während die solaren Einstrahlungswerte vieler Küstenstandorte äußerst attraktiv sind. Dies macht diese Regionen sowohl wirtschaftlich als auch ökologisch zu interessanten, jedoch anspruchsvollen Einsatzorten für PV-Technologie.
In maritimen Umgebungen reichen standardisierte Planungs- und Auslegungsverfahren oftmals nicht aus. Die langfristige Zuverlässigkeit, Langlebigkeit und Wirtschaftlichkeit einer PV-Anlage in Küstennähe hängen maßgeblich davon ab, ob die projektspezifischen Umweltbedingungen bereits in der Planungsphase konsequent berücksichtigt werden. Eine zentrale Rolle spielen hierbei die gezielte Auswahl korrosionsbeständiger Komponenten, ein angepasstes Systemdesign sowie individuell zugeschnittene Wartungsstrategien. Werden diese Aspekte vernachlässigt, drohen bereits nach wenigen Betriebsjahren erhebliche Leistungsverluste, vermehrte Wartungsanforderungen, Ausfälle wichtiger Systemkomponenten und nicht zuletzt sicherheitstechnische Risiken.
Vor diesem Hintergrund verfolgt der vorliegende technische Leitfaden das Ziel, Planerinnen und Planern sowie Ingenieurinnen und Ingenieuren eine umfassende Orientierung für die Realisierung von PV-Anlagen in Küstenzonen zu bieten. Der Bericht beleuchtet die charakteristischen Umweltbelastungen maritimer Standorte und liefert praxisnahe Empfehlungen zur Modulauswahl, zu Anforderungen an das Montagesystem sowie zum Schutz der elektrischen Balance-of-System-Komponenten. Darüber hinaus werden bewährte Installationspraktiken und Wartungsstrategien vorgestellt, die auf die speziellen Bedingungen in küstennahen Gebieten zugeschnitten sind. Ziel ist es, die Basis für eine zuverlässige, wirtschaftliche und langlebige Solarstromerzeugung auch unter widrigen Bedingungen zu schaffen.
2. Umweltbelastungen in Küstenzonen
Küstenregionen stellen eine besonders herausfordernde Umgebung für Photovoltaikanlagen dar. Die spezifischen Umweltbedingungen führen zu einer Vielzahl von Belastungsmechanismen, die sowohl die elektrische als auch die mechanische Lebensdauer von PV-Systemen erheblich beeinträchtigen können. Besonders hervorzuheben sind dabei der Einfluss von Salznebel, hoher Luftfeuchtigkeit und starken Windlasten – oft in Kombination.
Ein zentrales Problem stellt die Salznebelkorrosion dar. In der salzhaltigen Luft, die vor allem Natrium- (NaCl) und Magnesiumchlorid (MgCl₂) enthält, lagern sich Salzpartikel auf den Oberflächen der Module und ihrer Komponenten ab. In Verbindung mit Luftfeuchtigkeit bilden diese Salze leitfähige Elektrolytschichten, was zu einem drastischen Abfall des Oberflächenwiderstands führt. Dieser Effekt kann die sogenannte Potentialinduzierte Degradation (PID) signifikant beschleunigen. PID äußert sich in einem Leistungsabfall der Module, der vor allem durch erhöhten Ableitstrom und reduzierten Isolationswiderstand hervorgerufen wird – ein besonders kritischer Faktor in Küstenumgebungen. Salznebel kann darüber hinaus auch die metallischen Teile von Rahmen, Montagestrukturen und Anschlussdosen angreifen. Die dadurch entstehende Korrosion führt zu einem erhöhten Kontaktwiderstand und kann die strukturelle Stabilität beeinträchtigen. Auch das Modulglas selbst kann durch Salzeinwirkung auf lange Sicht beschädigt werden.
Zusätzlich zur Salzbelastung ist die durchweg hohe Luftfeuchtigkeit in Küstenregionen problematisch. In Verbindung mit Temperaturschwankungen kann es zu Kondensationsvorgängen innerhalb von Gehäusen und Modullaminaten kommen. Eindringende Feuchtigkeit begünstigt Kurzschlüsse, Lichtbögen und Korrosion an elektrischen Verbindungen und Schaltkomponenten. Besonders gefährlich ist dies in Wechselrichtern und Anschlussdosen. Wenn Feuchtigkeit in das Laminat eindringt, etwa über beschädigte Rückseitenfolien oder undichte Versiegelungen, kann dies zu Delamination oder interner Korrosion führen – beides Prozesse, die oft erst nach Jahren sichtbar werden, aber den schleichenden Ertragsverlust einleiten.
Ein weiterer wesentlicher Belastungsfaktor ist der Wind. Küstengebiete unterliegen häufig stärkeren Windbelastungen als Binnenregionen. Dies führt zu höheren mechanischen Beanspruchungen von Modulen und Montagesystemen. Mikrorisse in den Solarzellen, Modulbruch oder Beschädigungen an der Unterkonstruktion können die Folge sein. Entsprechend robuste Montagesysteme, die nach gültigen Windlastnormen ausgelegt sind, sind essenziell. Innovative Lösungen wie rahmenlose Module oder solche mit spezieller Verklebung können durch geringere Angriffsflächen eine höhere Windstabilität erreichen.
Besonders gefährlich sind synergistische Effekte: Die Kombination von Salz und Feuchtigkeit reduziert den Oberflächenwiderstand von Modulglas und -rahmen zusätzlich und erhöht damit das PID-Risiko. Gleichzeitig werden Korrosionsprozesse massiv beschleunigt, da Salz als Elektrolyt und Feuchtigkeit als Reaktionsmedium wirken. Hinzu kommt, dass Wind nicht nur die mechanische Belastung steigert, sondern auch den Transport von Salzpartikeln weit ins Landesinnere unterstützt und Feuchtigkeit in kleinste Spalten treiben kann. Dies belastet Dichtungen, Versiegelungen und Gehäuse zusätzlich und kann potenziell Eintrittspfade für schädigende Substanzen öffnen.
Die Definition von Küstennähe ist dabei nicht eindeutig. Während in unmittelbarer Nähe zum Meer die Effekte besonders ausgeprägt sind, kann Salznebel auch über mehrere Kilometer ins Binnenland getragen werden – abhängig von Windrichtung, Topographie und Vegetation. Daher ist eine bloße Entfernungsangabe zur Küste als Planungsgrundlage nicht ausreichend. Stattdessen sollte die standortspezifische Salinität bewertet werden, beispielsweise mit Hilfe der ISO-Norm 9223. Diese bietet eine Klassifikation atmosphärischer Korrosivität auf Basis der Chloridablagerung und anderer Umweltfaktoren und ermöglicht eine deutlich präzisere Risikobewertung.
Ein weiteres planerisches Risiko ist die zeitverzögerte Degradation. Viele Schäden, insbesondere an elektrischen Komponenten, treten nicht unmittelbar nach der Installation auf. Vielmehr entwickeln sich Korrosion, Delamination und Isolationseinbußen häufig erst über mehrere Jahre – oft mit verzögertem, aber dafür nachhaltigem Leistungsverlust. Diese Latenz macht es umso wichtiger, bereits in der Planungsphase auf die Widerstandsfähigkeit gegen salzhaltige und feuchte Umgebungen zu achten. Erweiterte Tests wie die IEC 61701 (Salznebelprüfung) ermöglichen es, potenzielle Schwachstellen in der Modulkonstruktion frühzeitig zu identifizieren.
3. Modulauswahl: Sicherstellung der Widerstandsfähigkeit gegen die Elemente
Die Auswahl geeigneter PV-Module ist eine der entscheidenden Stellschrauben für die langfristige Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit von Photovoltaikanlagen in Küstengebieten. Aufgrund der harschen Umweltbedingungen – insbesondere Salznebel, hohe Luftfeuchtigkeit und Wind – müssen Module nicht nur effizient, sondern vor allem resistent gegenüber korrosiven und elektrischen Belastungen ausgelegt sein. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Prüfung und Zertifizierung der Module nach der Norm IEC 61701, welche die Widerstandsfähigkeit gegenüber salzhaltiger Atmosphäre bewertet.
Die IEC 61701 stellt dabei einen weltweit anerkannten Prüfstandard dar, um die Eignung von PV-Modulen für den Einsatz in salzbelasteter Umgebung zu verifizieren. Die aktuelle Version dieser Norm (Stand: vermutlich 2020) basiert auf Prüfabläufen, die in der IEC 60068-2-52 beschrieben sind und zusätzlich Elemente aus IEC 61215-2 und IEC 61730-2 einbeziehen. Je nach Einsatzort können unterschiedliche Schweregrade der Belastung zum Einsatz kommen. Die Norm definiert mindestens sechs Stufen – teilweise bis zu acht –, die sich in Dauer, Intensität und Zyklenanzahl unterscheiden. Für typische Küstenanwendungen hat sich Schweregrad 6 als Standard etabliert. Dieser umfasst meist acht Zyklen über 56 Tage, in denen die Module sowohl Salznebel als auch Feuchtigkeit ausgesetzt sind. Einige Hersteller gehen über diese Anforderungen hinaus und testen Module nach einem „Doppelstandard“ mit 112 Tagen. In besonders exponierten Lagen – etwa Offshore – können auch noch strengere Prüfungen (Schweregrad 8) relevant sein.
Ein Modul besteht die IEC-61701-Prüfung nur, wenn es nach Abschluss der Testzyklen keine relevanten Leistungseinbußen zeigt (z. B. < 5 % Leistungsverlust), keinen signifikanten Verlust des Isolationswiderstands aufweist, funktionierende Bypass-Dioden besitzt und keine sichtbaren Korrosionsschäden wie Delamination oder Glasangriffe zeigt. Zertifizierungen durch unabhängige Stellen wie den TÜV oder den VDE bieten eine zusätzliche Sicherheit und sind zunehmend auch in Ausschreibungen verpflichtend gefordert. In der Praxis hat sich gezeigt, dass auch in Lagen, in denen ein niedrigerer Schweregrad formal ausreichen würde, Schweregrad 6 spezifiziert wird, um eine breitere Auswahl hochwertiger Module sicherzustellen.
Neben der Zertifizierung spielt auch die Konstruktion der Module eine zentrale Rolle. Rahmenmaterialien aus korrosionsbeständigen Aluminiumlegierungen oder Edelstahl sind essenziell. Aluminiumrahmen sollten eloxiert sein und die Schutzschicht darf – insbesondere am Erdungspunkt – nicht beschädigt werden. Wichtig ist außerdem, dass die Rahmen mit effektiven Entwässerungsöffnungen versehen sind. Diese Drainageöffnungen verhindern stehendes Wasser in den Rahmenprofilen und dürfen bei der Montage keinesfalls blockiert werden, da sich sonst Korrosion beschleunigen kann – besonders in einer salz- und feuchtigkeitsreichen Umgebung.
Ein weiteres kritisches Bauteil sind Anschlussdosen und Steckverbinder. Diese müssen eine hohe Schutzart gegen das Eindringen von Wasser und Staub aufweisen, typischerweise mindestens IP67, besser IP68. Die eingesetzten Materialien sollten besonders korrosionsbeständig sein, und Steckverbinder sollten während der Installation stets trocken und sauber gehalten werden. Es dürfen ausschließlich kompatible Steckverbindungen desselben Herstellers verwendet werden, um Undichtigkeiten und Kontaktprobleme zu vermeiden.
Auch die Modulrückseite spielt eine wichtige Rolle beim Schutz vor Feuchtigkeit. Rückseitenfolien müssen eine geringe Wasserdampfdurchlässigkeit aufweisen und unversehrt sein. Alternativ kann eine Glas-Glas-Konstruktion eingesetzt werden, die gegenüber klassischen Glas-Folie-Modulen eine deutlich bessere Barriere gegen Feuchtigkeit und mechanische Belastungen bietet. Glas-Glas-Module werden zunehmend in rauen Umgebungen eingesetzt und sind oft mit längeren Produktgarantien verbunden. Spezielle Designs wie jene mit glasfaserverstärkten, rahmenlosen Strukturen zeigen laut Herstellern ebenfalls eine hohe Widerstandskraft gegenüber Küstenbedingungen.
Die Qualität der Versiegelung – besonders an Rahmenecken, Anschlussdosen und Kanten – stellt eine häufig unterschätzte Schwachstelle dar. Hier entscheidet die Verarbeitungsqualität über die Lebensdauer der Module. Glas-Glas-Module bieten von Natur aus einen Vorteil, da ihre Konstruktion die Kantenversiegelung weitgehend schützt.
Die Wahl der Zelltechnologie beeinflusst ebenfalls die Küsteneignung. Kristallines Silizium – ob mono- oder polykristallin – ist heute die gängigste Technologie. Beide Varianten sind jedoch grundsätzlich PID-anfällig, was unter Salz- und Feuchtigkeitseinwirkung besonders relevant wird. Monokristalline Module bieten höhere Wirkungsgrade und bessere Schwachlichtperformance, sind jedoch in der Regel teurer. Polykristalline Module sind kostengünstiger, haben aber einen geringeren Flächenwirkungsgrad.
Dünnschichtmodule zeichnen sich durch geringeres Gewicht und potenziell bessere Temperaturtoleranz aus, sind aber feuchtigkeitsempfindlicher und oft nicht so gut gegen PID geschützt. Ihre Eignung für Küstenumgebungen hängt stark von der Qualität der Verkapselung ab.
Fortschrittliche Technologien wie bifaziale Module – häufig in Glas-Glas-Ausführung – können durch Nutzung reflektierten Lichts Ertragssteigerungen von bis zu 15–20 % erreichen. In Küstenregionen ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich auf der Rückseite Salz und Schmutz ablagern können, was den bifazialen Effekt reduziert. Technologien wie PERC oder TOPCon erhöhen den Wirkungsgrad ebenfalls, bringen jedoch neue Sensitivitäten mit sich – etwa eine potenzielle UV-induzierte Degradation bei TOPCon-Zellen. Unabhängige Leistungstests sind daher ratsam, um die reale Langzeitperformance besser einschätzen zu können.
Insgesamt zeigt sich, dass die Wahl des passenden Moduls für Küstenstandorte eine differenzierte Bewertung erfordert. Zertifizierungen nach IEC 61701 (idealerweise Schweregrad 6), PID-Resistenz, Glas-Glas-Konstruktionen, korrosionsfeste Materialien und hochwertige Verarbeitung sind Schlüsselfaktoren. Nur durch das Zusammenspiel dieser Eigenschaften kann langfristig sichergestellt werden, dass PV-Anlagen in salzhaltiger Umgebung dauerhaft stabil und wirtschaftlich arbeiten.